Die Große Kirche in Leer
Um das Jahr 792 gründete Liudger, ein Friesenmissionar, der später Gründungsbischof des Bistums Münster wurde, anlässlich einer Missionsreise im Auftrag Karls des Großen in einem Geestdorf namens Hléri (später Leer), nahe der Mündung des Flusses Leda in die Ems, eine der ersten christlichen Gemeinden Ostfrieslands und baute ihr auf einer Warft am Westerende, am damaligen Hochufer der Ems, eine hölzerne Kirche. Diese erste Leeraner Kirche wurde, wie mehrere hölzerne Nachfolgekirchen am selben Platz, bei Wikingereinfällen geplündert und niedergebrannt. Nach Beendigung der Wikingereinfälle wurde in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts an derselben Stelle eine Steinkirche erbaut, die dem inzwischen heiliggesprochenen Liudgerus geweiht war und zur Propsteikirche aufstieg. Trotz aller Bemühungen um Instandhaltung der alten Liudgeri-Kirche wurde sie im Laufe der Jahrhunderte immer baufälliger, bis 1777 die gesamte Gemeinde flüchtete, als während eines Orkans der Dachstuhl einzustürzen drohte. Beim Abbruch des Kirchengebäudes auf dem alten reformierten Friedhof am Westerende blieb nur die Krypta erhalten, die heute als kommunaler Gedenkraum für Opfer der Kriege und für Gedenkkonzerte hergerichtet ist.
Im Jahre 1524 berief der damalige „Häuptling" (und wohl auch Kirchenpatron) von Leer, Hajo Unken III., den evangelischen Theologen Lübbert Canz (Cantzius) aus Münster in die Stelle des Propstes. Dieser entfernte sämtliche Altäre aus der alten Liudgeri-Kirche und führte das reformierte Bekenntnis und eine reformierte Liturgie, Gemeindeordnung und Unterweisung ein. Deshalb wurde in Leer die reformierte Konfession vorherrschend. Die reformierte Gemeinde hatte jahrhundertelang politisch einen starken Einfluss. Sämtliche Aufgaben der Daseinsvorsorge lagen in ihren Händen. Sie war im Besitz der Waagegerechtigkeit. Mit deren Einnahmen unterhielt sie eine Latein- und Elementarschule sowie ein Armen- und ein Waisenhaus.
Gleich nach seinem Regierungsantritt erließ Friedrich der Große 1740 ein Toleranzedikt : „Die Religionen müssen alle toleriert werden. Hier muss jeder nach seiner Facon selig werden...", Danach gelang es anderen Konfessionen, eine Gleichstellung zu erreichen.
1823 erhielt Leer die Stadtrechte , damit entwickelte sich eine kommunale Selbstverwaltung und schwand Schritt für Schritt der Einfluss der reformierten Gemeinde auf die öffentliche Daseinsvorsorge.
In der reformierten Gemeinde Leer wurde niederländisch gepredigt (in dieser Sprache auch Kirchenbücher und Archiv). Dies änderte sich erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die eigentlichen Träger der kirchlichen Leitung und Verwaltung der ref. Gemeinde waren die Kirchenältesten und Prediger im Kirchenrat. Ihre Aufgabe bestand darin, auf den Lebenswandel der Gemeindeglieder zu achten. Prediger und Kirchenälteste hatten sich halb- oder ganzjährlich nach der Lebensweise der Gemeinde zu erkundigen, und die Säumigen zum Kirchgang anzuhalten. Die Gemeinde unterlag einer strengen Kontrolle und nachlässige Mitglieder hatten mit empfindlichen Strafen zu rechnen (Kirchenzucht). Erst zur Wende des 19. Jahrhunderts wurde der Widerstand der Gemeinde immer stärker . Er führte zu mehr Freiheit der Einzelnen.
Gebäude
Die Große Kirche der Evangelisch-reformierten Gemeinde wurde nach dem Abriss der alten Liudgerikirche in den Jahren 1785 - 1787 als barocker Zentralbau errichtet. Der Grundriss hat die Form eines griechischen Doppelkreuzes. Das Kirchendach wird von vier freistehenden Säulen getragen. Die Arbeiten am höchsten Turm von Leer wurden 1805 abgeschlossen. Er wird gekrönt von einem Schiff, einem alten Symbol für die Gemeinde. Es erinnert an die biblische Geschichte von den Jüngern auf dem See Genezareth und ihrer Rettung in Lebensgefahr durch Jesus Christus (Matth. 8, 23-27).
In einer evangelisch-reformierten Kirche ist die Predigt der Mittel- und Höhepunkt des Gottesdienstes. Die Große Kirche in Leer ist in ihrer Ausrichtung auf die Kanzel eine typische Predigtkirche. Die umlaufende Empore gestattet einen Blick auf die besonders schöne Renaissance-Kanzel. Sie wurde um 1600 von Andreas Kistenmaker geschnitzt und stammt ebenso wie der romanische Taufstein (um 1250) aus der alten Kirche.
Auch das Gestühl ist auf die Kanzel ausgerichtet. Zur besonderen Ausstattung gehört der Abendmahlstisch im klassizistischen Stil von 1787. Auffallend ist der imposante Orgelprospekt der zweitältesten Denkmalorgel Ostfrieslands (mit 37 Registern). Konnte ein etwa 400-jähriger Teil aus der Vorgängerkirche übernommen werden, so gab es in der Folgezeit weitere Ergänzungen und Erneuerungen. Eine letzte Renovierung übernahm 1970 der Leeraner Orgelbauer Jürgen Ahrend.
In der Großen Kirche finden regelmäßig Konzerte statt.
Am 26. Februar 2012 wurde die Große Kirche nach 15monatiger Restaurierung mit einem Festgottesdienst wieder in Gebrauch genommen. Die Bänke sind jetzt mahagonifarben, ein neues Rosettenfenster wurde eingesetzt. Die Decke hat nun einen blauen Ton, und die Wände sind hell gestrichen. Die prächtigen Säulen wirken durch eine dunkle Steinimitation an den Kapitellen besonders. Ein neuer Dielenboden ist im Kanzelbereich gelegt worden, und der Abendmahlstisch wurde ebenfalls restauriert. Die Heizung ist komplett erneuert. Als Vorlage für die Innenrestaurierung diente ein Gemälde aus dem Jahr 1830. Dieses Bild hat der Kirchbauverein Große Kirche fachmännisch säubern lassen, so dass die historischen Farben wieder zu erkennen waren. Für die Bequemlichkeit wurde allerdings auch etwas getan: Die Sitztiefe der Bänke wurde vergrößert, und die Rückenlehnen wurden stärker geneigt. Unter den Bänken wurden Heizkörper eingebaut. Die Kronleuchter und alle anderen Lampen in der Kirche wurden von Gemeindegliedern geputzt und zum Strahlen gebracht.
Quellen: Chronik der Ev.ref. Kirche, Stadtarchiv;
Faltblatt „Große Kirche", Internet: www.leer.reformiert.de
Wessel Onken „Chroniek van het Vlek Leer" - Leer 1765 handschriftlich - deutsch N.A. Blankmann Leer 1885 handschriftlich - Typographie Gebhard Schröder Leer 2007 (sämtlich im Archiv der ev.-ref. Gemeinde Leer);
Günther Robra „Das Protokoll- und Rechnungsbuch der Hillighemans und Kerkswaren für die Zeit von 1513-1583 im Archiv der ev..-ref. Kirchengemeinde Leer" - Aurich 2005
Menno Smid „Ostfriesische Kirchengeschichte" (in „Ostfriesland im Schutze des Deiches" Band VI) Krummhörn 1974
Menna Hensmann „Von Hléri bis Leer" in „Niedersachsenbuch 2003" Leer