Orgel der Großen Kirche in Leer
"Wir freuen uns, dass wir mit der restaurierten Orgel die Möglichkeit haben, die Meisterwerke der Musik in einzigartiger Klarheit und Schönheit darbringen zu können. Davon machen wir vielfältig Gebrauch: in Gottesdiensten, in denen die verkündigende Aussage der Musik eine besondere Rolle spielt, in Orgelmatinéen am Sonntag nach dem Gottesdienst und in weiteren Orgelkonzerten und Vortragsstunden."
Landeskirchenmusikdirektor Winfried Dahlke
Geschichte der historischen Orgel
Das beeindruckendste Kulturdenkmal in der Großen Kirche ist sicherlich die mehr als 400 Jahre alte Orgel, das zweitälteste Instrument in der berühmten Orgellandschaft Ostfrieslands. Hinter dem gewaltigen Orgelprospekt verbergen sich 37 Stimmen (Register) mit inzwischen rund 3.300 Pfeifen.
Entstanden als Rennaissance-Orgel des Klosters Thedinga
Ursprünglich, vermutlich um die Mitte des 16. Jahrhunderts, als Renaissance-Orgel für das Kloster Thedinga (nahe Leer) gebaut, wurde sie bei Verteilung des Klosterguts 1609 von Graf Enno III. der ev.-ref. Kirchengemeinde Leer geschenkt, vom Bremer Orgelbaumeister Marten de Mare nach Leer gebracht und nach Erneuerung in der damaligen St. Luidgeri-Kirche am Westerende aufgestellt. Der Umbau ist noch an den ältesten Registern nachweisbar, die somit aus vorreformatorischer Zeit stammen.
Spätbarock und Umzug in die Große Kirche 1787
Nach Abbruch der baufälligen St. Liudgeri-Kirche und Neubau der Großen Kirche (1785-1787) wurde die erst in den Jahren 1763-1766 durch den Groninger Orgelbaumeister Albertus Anthoni Hinsz mit einem neuen Gehäuse umfänglich umgebaute und erneuerte Orgel unverändert von dem Emder Orgelbauer Johann Friedrich Wenthin in die neue Kirche (Nordseite) umgesetzt.
Elektrifizierung 1914
Als sie im Jahre 1845 fast unbespielbar geworden war, legte der Emder Orgelbauer Wilhelm Höffgen ein sehr gründliches Gutachten für eine umfassende Erneuerung und umfangreiche Erweiterung vor. Der Auftrag wurde vergeben und die begonnene Arbeit nach dem plötzlichen Tod Höffgens im Jahr 1849 vom Emder Orgelbauer Brond de Grave Winter zu Ende geführt. Im Jahr 1914 wurde das Gebläse durch die Orgelbaufirma Furtwängler und Hammer, Hannover, elektrifiziert. Im ersten Weltkrieg mussten 1917 die Prospektpfeifen aus Zinn für die Rüstungsproduktion abgeliefert werden. Der Prospekt wurde mit blauem Tuch verhängt, bis 1924 der Orgelbauer Klassmeyer aus Lemgo neue Prospektpfeifen aus Zink lieferte.
Konsolidierung in den 60ger Jahren
1953-1955 ersetzte der Orgelbauer Paul Ott aus Göttingen das Oberwerk durch zwei Rückpositive und baute auf Drängen des Kantors einen freistehenden Spieltisch ein sowie die Orgelempore zur Chorempore um.
1963-1971 konsolidierten die Orgelbauer Jürgen Ahrend und Gerhard Brunzema die Orgel in mehreren Bauabschnitten. Dies betrifft die Verbesserungen an der Windversorgung, den Neubau der Zungen und die Nachintonation.
1966 erfolgten Nachbearbeitungen des Hauptwerks und des Pedals und im Jahr 1971 eine Nachbearbeitung der Rückpositive.
Seit den 60ger Jahren betreut Dr. Jürgen Ahrend das Instrument.
So wurde zwischen 1609 und heute die aus dem Kloster Thedinga stammende Renaissance-Orgel mit 9 Registern durch immer neue Vergrößerungen und Erweiterungen zu einer städtischen Barockorgel entwickelt, in der aber die Stimmen aus der Renaissance alles andere als untergegangen sind.
Mit Hilfe von NOMINE (Norddeutsche Orgelmusikkultur in Niedersachsen und Europa) in Stade erarbeitete der Landeskirchenmusikdirektor der Ev.-ref. Kirche, Winfried Dahlke eine umfangreiche Dokumentation über die Geschichte und den historischen Bestand der Orgel. Diese trägt auf 250 Seiten alle noch sicher feststellbaren Tatsachen nachprüfbar zusammen.
Restaurierung der Orgel in zwei Etappen ab 2014
Wegen der äußerst schwergängigen Mechanik, des Absackens der tragenden Konsolen im Prospekt und vielen weiteren Ausfällen war trotz der vielen konsolidierenden Einzelmaßnahmen eine umfassende und werterhaltende Sanierung dringend erforderlich (s. auch U.v.d.Nahmer, „Windgesang", Aurich 2008). Winfried Dahlke hat mit Unterstützung von dem Orgelbauer Hendrik Ahrend ein Konzept für diese Restaurierung erarbeitet, das die denkmalpflegerischen Forderungen harmonisch mit den orgelkünstlerischen Notwendigkeiten verbindet.
Restaurierung 2014 / 2015 Hauptgehäuse, Windladen, Oberwerk
Im Sommer 2014 begann der erste Bauabschnitt der Orgelrestaurierung. In großer Kunstfertigkeit wurde das historische Hauptgehäuse der Orgel restauriert und das verloren gegangene Untergehäuse rekonstruiert. Dort wurde an historischer Stelle die Spielanlage mit drei Klaviaturen für die Hände und einer Klaviatur für die Füße neu angelegt. Buchsbaum, Ebenholz und geräucherte Eiche lassen den Spieltisch in warmen Farben leuchten. Die Tasten der Manuale und die Pedaltasten bewegen über die feinädrigen neuen Trakturen die Ventile in den Windladen der vier Teilwerke. Die Registerzüge mit Ebenholzgriffen bedienen über eine wohldurchdachte Mechanik die 37 vorhandenen Register und die raffinierte Koppelanlage, welche die Teilwerke miteinander in verbindet.
Über der feingliedrigen Mechanik zu den Rückpositiven wurde der Boden der Empore neu aufgebaut und geschlossen. Alle Teile wurden aus besten Materialien und in geschmackvoller Gestaltung ausgeführt.
Die hochqualifizierten Mitarbeiter der Orgelbauwerkstatt Ahrend erzielten durch ihre Erfahrung und Weitsicht bei den Arbeiten den ersehnten Erfolg: Die rekonstruierte Spielanlage erlaubt ein ermüdungsfreies, feindifferenziertes Spiel. Der erste Bauabschnitt endete im Frühjahr 2015.
Das Pfeifenwerk konnte im 1. Bauabschnitt noch nicht bearbeitet werden. Sämtliche Labialstimmen haben durch die fehlgeleiteten Veränderungen des Ott- Umbaus (1953-55) ihre Klangsubstanz und Leuchtkraft verloren. Allein das volle Werk der Orgel beeindruckt, weil es durch die von Ahrend & Brunzema erneuerten Zungenregister getragen wird. Bei sämtlichen kleineren Ensembleregistrierungen wird deutlich, wie viel das Klangbild gegenüber original erhaltenen oder vorbildlich restaurierten Denkmalorgeln abfällt. Die gleichschwebende Stimmung trägt ihren Anteil an einem blassen und unharmonischen Klangbild.
Restaurierung 2016 /2018: Oberwerk, Pfeifenwerk
Der zweite Bauabschnitt ist mit der Rekonstruktion der Prospektpfeifen aus Zinn, der Restaurierung der vorhandenen 2500 Pfeifen und der Rekonstruktion von rund 800 Pfeifen des verlorenen gegangenen Oberwerks und der dazugehörigen Windlade und Registerzüge sowie einer historischen Windanlage durchgeführt worden. Die Leeraner Orgelbaubetrieb Jürgen Ahrend unter der Leitung ihres Inhabers Hendrik Ahrend hat mit seinen engagierten Mitarbeitern Großartiges geleistet.
Die Kirchengemeinde in Leer und viele Orgelliebhaber aus nah und fern freuen sich über die gelunge Restaurierung der historischen Orgel in der Großen Kirche. Sie sind dankbar für die finanzielle Unterstützung insbesonder der Evangelisch-reformierten Landeskirche, dem Bund, der Stadt Leer und etlichen Stiftungen.
Viele Menschen aus unserer Gemeinde und weit darüber hinaus haben sich für eine Orgelpfeifenpatenschaft entschieden und so dazu beigetragen, dass unsere Gemeinde den Eigenanteil von 80.000 Euro der Gesamtkosten von 600.000 Euro tragen konnte.
Weitere Informationen
Orgelportrait von NOMINE (Norddeutsche Orgelmusikkultur in Niedersachsen und Europa)
Einen umfassenden Bericht über die Restaurierung gibt das Orgelmagazin 2018 (pdf-Datei).