Warum tritt jemand aus seiner Kirche aus?

Das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD hat Kirchenaustritte seit 2018 untersucht. Ein großer Anteil der Gründe liegt – besonders bei ehemals Katholischen – im Umgang mit Skandalen, namentlich solchen des Kindesmissbrauchs, und in der Glaubwürdigkeit der Kirche. Das überrascht nicht. Bemerkenswert aber ist ein recht hoher Anteil an ehemaligen Mitgliedern, die wegen mangelnder Differenzierung zwischen den Kirchen diesen den Rücken kehren.

Wie lässt sich das verstehen oder interpretieren, wo doch das ökumenische Miteinander in den Arbeitsgemeinschaften Christlicher Kirchen (ACK) als Errungenschaft des späteren 20. Jahrhunderts gilt?

In einem wichtigen Dokument der Ökumene, der Leuenberger Konkordie, ist von „versöhnter Verschiedenheit“ die Rede. Das war 1973, bei der Verabschiedung der Konkordie, ein großer Fortschritt unter den evangelischen Kirchen: Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft sind darin vereinbart und die gegenseitige Anerkennung der Ordination (wodurch ein reformierter Krummhörner Pastor lutherischer Bischof von Braunschweig werden konnte).

Nun kann es sein, dass um der damals dringend erforderlichen Versöhnung willen die Verschiedenheit, die Eigen-Art vernachlässigt wurde, denn seit einigen Jahren ist das „eigene Profil“ in der Diskussion. Dieses ist in einer Zeit, in der Jeans, T-Shirt und Basecap weltweite Einheitskleidung sind, vermutlich etwas, wonach Menschen sich sehnen, weil sie es brauchen: Das eigene Profil einer Gruppe bietet ihren Mitgliedern Gelegenheit, sich zu identifizieren, sogar, sich durch ihre Zugehörigkeit zu definieren. Es vermittelt ihnen damit Halt und Heimat, Rückgrat und Geborgenheit, nicht selten auch etwas, auf das sie stolz sind, es vermittelt ihnen Selbstbewusstsein.

Die Zusammenarbeit in der ACK muss nicht zwangsläufig schwieriger werden, wenn die Eigenarten ihrer einzelnen Mitglieder deutlich erkennbar sind – das kann sich sogar als Bereicherung auswirken.

Wenn die Kirchen von den Gemeinden bis zur Leitungsebene kaum noch zu unterscheiden sind, entsteht für wenig engagierte Mitglieder leicht der Eindruck eines „Einheitsbreis“ – und damit Orientierungslosigkeit. Orientierung aber erwarten sie von ihrer Kirche. „Bestimmt reformiert“ steht auf den Briefumschlägen des Reformierten Bundes; Gemeinden können für sich bestimmen, wie reformiert sie sein wollen – und das mit Überzeugung nach außen vertreten. Es wird sich lohnen, weil es Menschen an ihre Gemeinde bindet.

Wie unser Kirchengebäude sich von anderen am Ort abhebt, kann das auch die Gemeinde tun – ohne abgehoben zu wirken. Sie gewinnt an Ansehen, wird für Menschen interessanter, wenn sie klar erkennbar ihr eigenes Gesicht zeigt, das im „Einheitsbrei“ untergeht. Die Menschen, besonders die Suchenden unter ihnen, fragen nach Unterschieden, nach dem Besonderen der eigenen Art im vielfältigen Angebot der Weltanschauungen.

Paul Kluge

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